JACK KETCHUM / LUCKY MCKEE - Scar
- bis das Kind kaputt gespielt ist und weit darüber hinaus -
Dallas Mayr alias Jack Ketchum und Co-Autor, Schauspieler, sowie Regisseur Lucky McKee beschreiben in ihrem neuen Roman "Scar" das Leben einer kleinbürgerlichen Familie, die sich an ihren irdischen Gütern erfreut und mit ihren Nachbarn mithalten will. Die perfekte Außenwirkung ist den Eltern Bartholomew und Patricia Cross extrem wichtig, den beiden elfjährigen Zwillingen Delia und Robbie, sowie der Australian Cattle Dog Hündin Caity eher weniger. Vater Bart ist mit seinem neuen "Interesse", dem Pontiac Firebird in der Garage und einem Glas Boodles-Gin beschäftigt. Mutter Pat macht sich gerade frisch im Bad, Bruder Robbie ist in seinem Zimmer mit einem Buick Modellbausatz beschäftigt und Delia sinniert über das unheimliche, alte Puppenhaus, das ihr ihre Mutter zur Verfügung gestellt und zum Spielen überlassen hat. Letzte Nacht hat Delia einen Luftzug daraus gespürt und ein Licht darin schimmern sehen. Diese Nacht zittert es leicht, sodass das T-Shirt, dass sie zum Abdecken auf das Spielzeughäusschen gelegt hat, herunter fällt. Dann blinkt da in der nächsten Nacht wieder ein Licht. Mehrfach. Bis es wieder schwächer wird. Als Delia ihrer Mom von den nächtlichen Vorfällen erzählt, nimmt diese ihre Tochter nicht ernst. Denn es gibt keine Gespenster und keinen Spuk in ihrem alten Puppenhaus. Doch woher kommen der leichte Luftzug und das merkwürdig flackernde Licht? Sind hier etwa übernatürliche Kräfte am Werk oder gibt es eine weit profanere Erklärung dafür?
Delia ist hübsch, fotogen und verdient ihr Geld unter anderem mit Modeshootings, wie auch mit Werbespots. Sie ist allerdings erst elf Jahre alt. Seit sie vier Monate alt ist, vermarkten ihre Eltern ihr Kind gewinnbringend. Vielleicht winkt sogar bald eine Rolle in der Sitcom "Lip-Locked", für das die kleine Delia oder eher ihre Mom ein Castin ergattert hat. Bart und Pat zählen auf ihre Tochter. Sie haben alles auf eine Karte gesetzt. Sie beide gehen ansonsten keiner beruflichen Tätigkeit nach, sind sie doch vollends eingespannt in die Organisation von Delias‘ Karriere und ihres Prestiges. Bart, der die Finanzen der Familie regelt, hat leider kein Händchen für diese Aufgabe. Das Geld, das sie mit Delia verdienen ist aber recht üppig, lässt einen luxuriösen Lebensstil mit Haus, zwei Autos, zwei neuen 4K TV Geräten, Gärtner und Pool zu und zwingt nicht unbedingt dazu arbeiten zu gehen oder die Finanzen genauer im Blick zu behalten. Familie Cross eröffnet das einen sorglosen Lebensstil sponsored by Delia und einer Erbschaft, die Bart vor einiger Zeit gemacht hat. Ein zwingend liebevoller Umgang mit den Kindern dabei? Fehlanzeige. Bart und Pat frönen lieber dem Alkohol, den Tabletten und terrorisieren sich, ihre Kinder und den Hund. Anfangs nur seelisch, später auch körperlich.
Der Roman „Scar“ ist in der Gegenwartsform geschrieben. Anhand des deutschen Covers, des deutschen Titels und der fast schon kitschig oft erwähnten Klischees innerhalb des Plots, ahnt der Leser schon recht früh, wo der Hase lang läuft. Ketchum/McKees' Schreibstil ist flüssig und einigermaßen lebensnah gehalten. Die große Schrift, sowie die kurzen, prägnanten Sätze lassen einen quasi durch die Seiten fliegen. Das Storyboard ist allerdings recht einfach gehalten, geht zu keinem Zeitpunkt in die Tiefe und lässt daher auch kaum Empathien mit den Zwillingen zu. Auf den ersten hundert Seiten liefert das Autorenduo Ketchum/McKee einen ernüchternd ruhigen Aufbau, der Delia und Caity, sowie Ihren Bruder Robbie sympathisch zeichnen soll. Das gelingt ihnen allerdings nur bedingt, denn an vielen Stellen drückt sich das klischeehafte Verhalten der gesamten Familie einfach zu deutlich durch. Der Plot erscheint dadurch leider stark gekünstelt. Dass der, am 24.01.2018 in New York verstorbene, ehemalige Schauspieler, Lehrer, Literaturagent und Holzverkäufer Jack Ketchum das wesentlich besser kann, hat der US-amerikanische Autor spätestens seit "Evil" eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Delia ist ziemlich eingespannt und hechtet von Termin zu Termin. Ihre Mom ist gierig und vergisst darüber das Wohl ihres Kindes. Pat hat sogar eine Webseite, einen Twitter Account, sowie eine Facebook Seite für Delia eingerichtet, die sie regelmäßig mit Inhalten füttert. Beide Elternpaare haben wenig Zeit für die Zwillinge, sind egoistisch und mehr mit sich selbst oder ihren "Spielzeugen" beschäftigt, als dass sie sich eingehend mit ihren Kindern oder deren Bedürfnissen auseinandersetzen würden. Zwischendurch wird immer wieder aus Caitys' Sicht erzählt. Die Hündin ist schlau, lernfähig und wittert immer wieder Gefahr. Dann macht Delias' Bruder Robbie einen folgenschweren Fehler. Einen sehr dummen Fehler, der das Leben der kleingeistigen Familie vollends aus den Fugen hebt. Familie Cross war so hoch auf der Leiter, doch dann fiel sie ab. Die Erziehungsbeauftragten haben sich die ganze Zeit einfach zu sehr in Sicherheit gewogen und nicht mit einem solchen Umstand gerechnet. Als ein weiteres Unglück geschieht, dass alle bisherigen Planungen über den Haufen werfen müsste, hält Pat weiter an ihren Projektierungen fest, verstrickt sich in Lügen und verkauft ihre Seele und letztendlich die des gesamten Familienbundes. Von nun an ist endgültig Schluss mit lustig. Missgunst, Hass und Gewalt beherrschen ihren Alltag. Die Familie oder was noch von ihr übrig ist, zerbricht an ihren eigens auferlegten Standards und Werten. Leider wurden auch diese Aspekte wenig austariert.
Trotz oder gerade wegen der aufgekommenen Tragödien lässt sich mit dem Mitleid und dem künstlich aufgebauschten Gönnertum der Medienformaten jedoch noch kräftig Profit schlagen. Das Medieninteresse wird immer größer. Delias' Eltern übertreiben es immer mehr und bald ist das junge Mädchen nicht mehr nur äußerlich versehrt. Das Geltungsbedürfnis und die Geldgier ihrer Eltern machen Delias' Leben zu einer Hölle aus Voyeurismus und Stress. Die Eltern, in erster Linie Pat, agieren völlig am Wohl des Kindes vorbei. Ohne Rücksicht auf Verluste. Aber Delia spielt ohnehin bald nicht mehr mit und verhält sich ganz anders als es ihrer Mom lieb sein kann. Pat dreht indes völlig am Rad und geht für ihren Vorteil letztlich auch über Leichen. Sie lügt und betrügt und ihr scheint nichts mehr heilig, außer dem eigenen Wohl. "Scar" ist eine leider arg banale Story, die in der wirklichen Welt aus Missbrauch, Hass und Gewalt keinen gewichtigen Platz einnehmen kann. Obendrein ist der Plot reichlich oberflächlich und spannungsarm gehalten. Schade drum, denn da hätte man sicherlich mehr draus machen können.
Meine Wertung: 68/100
Link zur Buchseite des Verlags: Klick!
Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz
Originaltitel: The Secret Life of Souls
Originalverlag: Pegasus Books
Paperback, Klappenbroschur, 336 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-67717-3
€ 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 20,50* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: Heyne Hardcore
Erschienen: 10.04.2017