Erscheinungstermin: 02.05.2016 / ISBN: 978-3-492-05764-6
Erscheinungstermin: 02.05.2016 / ISBN: 978-3-492-05764-6

JOËL DICKER - Die Geschichte der Baltimores

(Piper Verlag)

 

Das fragile Glück zerstört der Autor...

 

Nach dem weltweit gefeierten, in über 30 Sprachen übersetzten, zweiten Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, des am 16.06.1985 in Genf geborenen Autors Joël Dicker, legte der Piper Verlag im Mai 2016 die gebundene Fassung des Nachfolgewerks „Die Geschichte der Baltimores“ vor. Der, studierte Jurist landete auch mit seinem neuesten Roman wieder einen Weltbestseller. Und wen wundert das auch, bei diesem jungen, talentierten und sympathischen Autor, der mit seinem empathischen Schreibstil bereits Millionen von Menschen in den Bann zog.

 

Joël Dicker zeichnet in seinem nunmehr dritten Roman die Geschichte der mittelständigen Goldmans aus Montclair und ihrer gut betuchten Verwandtschaft, der Goldmans aus Baltimore nach. Eine humorvolle, einfühlsame, teils aber auch traurige Story über Freundschaft, Zuneigung, Geborgenheit, Zusammengehörigkeit, Erfolg, Liebe, Verrat, Lügen, Neid, Eifersucht Schmerz, Verlust, Trauer und Gewalt. Es ist aber auch eine Geschichte über das fragile Glück des Lebens und seine zerstörerische Auswirkung auf sicher geglaubte Existenzen. In gewisser Weise ist dies die Chronik der Familie Goldman. Warum man diese lesen sollte ist ganz einfach erklärt, nämlich weil sie absolut lesenswert ist. Es ist die Vorgeschichte des erfolgreichen Buchautors Marcus Goldman, dem Protagonisten aus "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert". Die Story ist unabhängig von Dickers vorangegangenen Werken zu betrachten und hauptsächlich aus der Sicht von Marcus geschrieben. Dieser erzählt die Geschichte seiner Eltern, seiner wunderbaren, behüteten Kindheit und Jugend, seiner beiden Cousins, dem smarten Hillel und dem Football Ass Woody, seiner zwei Jahre älteren Freundin und späteren Pop Ikone Alexandra Neville, von Onkel Saul und Tante Anita, sowie den gemeinsamen Großeltern. Das Ganze ist ebenso mit einer Portion Humor, wie auch Feingefühl und Einfühlungsvermögen feinstens abgeschmeckt. Joël Dickers genialer Erzählstil ist dabei stets sehr lebensnah und echt. Das Kopfkino kommt somit recht schnell in Gang und lässt den Leser an seinen Seiten kleben.

 

Marcus Goldman verbrachte die Zeit am liebsten mit seinen Cousins. Zusammen waren sie die „Die Goldman-Gang“. Der intelligente und smarte Hillel eckt, durch seine eigentümliche Art, immer öfter an und hält seine Eltern gerne mal auf Trab. Dem sportlichen Woody stehen alle Türen in die NFL (die National Football League) offen und Marcus wäre gerne öfter bei seinen Cousins, sowie bei Tante Anita und Onkel Saul, für die er allesamt große Bewunderung empfindet. Seine Gedankenwelt ist sehr emotional gestaltet und verlangt dem Leser ein gewisses Mitgefühl ab. Es geht zu einem großen Teil über die gemeinsamen Erlebnisse in der Kindheit der drei Freunde, über deren Jugendzeit bis hin zum Erwachsenwerden in ihrer Studienzeit. Es geht aber auch um Anerkennung und Neid unter den Erwachsenen, wie auch den Kindern, um Ruhm und Ehre, sowie dem tiefen Fall, nachdem man so hoch auf der Leiter war.

 

Der Schweizer Autor springt dabei zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und spricht dabei immer wieder die "große Katastrophe" an, auf die letzten Endes alles hinaus läuft. Mit vagen Andeutungen sät er die alsbald sprießende Saat der Spannung aus. Wer hier allerdings Action pur erwartet, hält mit „Die Geschichte der Baltimores“ definitiv das falsche Buch in den Händen. Alleine die sympathische Erzählweise und der subtile Spannungsbogen machen den Reiz dieser grandiosen Geschichte aus.

 

Der intelligente Hillel, der sportliche und gutaussehende Woody, sowei Marcus, der von all dem ein bisschen was hat, sind die besten Freunde. Sie sehen sich, aufgrund der örtlichen Distanz, allerdings zumeist nur in den Ferien oder an Feiertagen, bei denen die Familien in aller Regelmäßigkeit zusammenkommt. Als die drei Jugendlichen Alexandra Neville kennen lernen, verlieben sie sich heil- und ausnahmslos in das hübsche und kecke Mädchen. Dass diese Freundschaft auf Dauer nicht gut gehen kann, steht außer Frage. Die Jungs schließen also einen Pakt der besagt, dass keiner der drei etwas mit ihr anfangen darf. Als sich Alexandra allerdings dazu entscheidet eine Art On/Off-Beziehung mit Marcus einzugehen, wird dieser halbherzige Entschluss seinerseits schnell wieder verdrängt.

 

Als Marcus seine damalige Ex-Freundin Alexandra ein paar Jahre später wieder trifft, gerät ihr beider Leben völlig aus den Fugen. Ein einziger Vorfall und alles bricht auseinander. Vieles ist ganz anders als es für das jeweilige Gegenüber erscheint. Die Heimlichtuerei einiger Familienmitglieder gräbt tiefe Furchen in die jeweiligen Beziehungen zueinander und lässt Träume platzen. Dazwischen gibt es immer wieder Einblendungen in die Gegenwart. Marcus Goldman hat eigentlich vor in dem recht ruhigen Örtchen Boca Raton sein neues Buch zu schreiben. Dort trifft er allerdings durch einen flauschigen Zufall auf Alexandra Neville und wieder ändert sich alles. Alexandra ist seit längerem mit dem Basketball Star Kevin Legendre zusammen und nicht unbedingt gewillt, ihr Leben ein weiteres Mal für Marcus über den Haufen zu werfen. Doch auch sie hegt noch sehr starke Gefühle für ihn.

 

© Jeremy Spierer
© Jeremy Spierer

Man ist stets gespannt darauf, welche Ungerechtigkeiten diesen sympathischen und glücklichen Menschen denn nur wiederfahren konnten. Es ist kein Thriller und auch etwas vollkommen anderes, als "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert". Herzlich und voller Emotionen entlädt sich Glück, Zuneigung, Liebe, aber auch Haas und Gewalt, was die Goldman-Gang zwangsläufig auf die große Katastrophe zusteuern lässt. Man kann die kindliche Freude, die jugendliche Naivität, aber später auch die Beklemmung, die Ratlosigkeit richtiggehend spüren. Es gibt eine Menge tragischer Ereignisse im Laufe des Plots, bei denen man davon ausgeht, dass damit die große Katastrophe gemeint sei, aber es kommt immer dicker, je weiter man in das Leben der Goldmans vordringt, die zum Teil ein arges Geltungsbedürfnis an den Tag legen. Sämtliche Existenzen stürzen in sich zusammen wie Kartenhäuser. Die Charaktere sind innerhalb der 512 Seiten ausführlich gezeichnet und man kann sich recht gut in sie hineinversetzen. Die gesamte Erzählung baut sich langsam auf und endet in einem absoluten, nicht vorherzusehenden Desaster. Man stellt den gesamten Plot über Vermutungen über das Was, Wie und Warum der großen Katastrophe an, wobei im Endeffekt doch alles ganz anders kommt, als man denkt. All das entwickelt sich zu einem absoluten Albtraum und alles was Dicker während des Aufbaus seine Plots auslässt, holt er nun doppelt und dreifach ins Boot. Da wird nicht mehr gekleckert, da wird geklotzt und der Leser bleibt mit offenem Mund sprachlos zurück. Alles, was der Autor über den gesamten Plot so mühsam und filigran aufgebaut hat, die Freundschaften, die Beziehungen, die Sympathien, das ungetrübte Glück, schlägt selbiger auf den letzten Seiten acht- und arglos zu einem kläglichen Scherbenhaufen. Allerdings kommt „Die Geschichte der Baltimores“, die sicherlich ebenfalls mit Inbrunst und Herzblut geschrieben wurde, leider nicht ganz an „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ heran.

 

Meine Wertung: 86/100

 

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