Erscheinungsdatum: 19.09.2016 / Blessing / ISBN: 978-3-89667-553-8 (gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag) f. € 19,99 [D] inkl. MwSt.
Erscheinungsdatum: 19.09.2016 / Blessing / ISBN: 978-3-89667-553-8 (gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag) f. € 19,99 [D] inkl. MwSt.

TOM WAINWRIGHT  – Narconomics-Ein Drogenkartell erfolgreich führen

(Blessing)

 

Supermarktkette vs. Drogenkartell

 

Der ehemalige Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften Student Tom Wainwright, der im Jahre 1982 in London geboren wurde, lebte seit 2010 in Mexico City um als Korrespondent für den Economist aus Mittelamerika, der Karibik, Mexiko und dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA zu berichten. Wainwright, indes wieder gesund und munter in den Schoß der Heimat zurückgekehrt, lebt mittlerweile wieder in seiner Geburtsstadt und veröffentlicht mit „Narconomics-Ein Drogenkartell erfolgreich führen“ sein Debüt Sachbuch.

 

Mittlerweile zum Wirtschaftsjournalist avanciert, recherchierte Wainwright im, offiziell als mörderischsten Stadt der Welt bezeichneten Juaréz. Den Auftrag in der Tasche, über die exotischste und brutalste Branche der Welt zu berichten. Auftragsmorde, Hinrichtungen, Zerstückelungen, das Ganze auf offener Straße sind hier an der Tagesordnung. Der Kreativität sind hier keinerlei Grenzen gesetzt. Wainwright begibt sich mitten hinein, in die anarchische Kloake aus Drogen, Geld, Luxus, Sex, Blut und Tod. Das Leben ist hier keinen Pfifferling wert. Mit dem nötigen Respekt und einer Portion unverzichtbarem Galgenhumor im Gepäck landet er am Flughafen von Ciudad Juaréz. Auf 352 Seiten erörtert der Wirtschaftsjournalist die direkten Parallelen zwischen den Kartellen und der modernen Marktwirtschaft und stellt die Gewinnmargen gegenüber. Nicht zuletzt aufgrund einer Mordrate, die etwa fünfmal so hoch, wie im gesamten Westeuropa (mit knapp 400 Mio. Einwohnern) lag, hatte die Regierung des Landes Mexiko (mit gerade mal knapp 120 Mio. Einwohnern) den Drogen und ihren Kartellen den Kampf angesagt. Doch nun eskalierte die Gewalt erst recht. El narcotráfico war ein straff durchorganisiertes globales Verteiler- und Geschäftsnetz, dass deren Kollaborateure um jeden Preis verteidigen wollten. Die Bestechungsparole „plata o plomo“ (Silber oder Blei) galt auch hier. Korruption und Gewalt durchzog das Land allmählich bis in die letzten Winkel. Ein Ende war und ist bis heute nicht in Sicht. Alle Maßnahmen der Regierung zum Schutz seiner Bürger scheiterten. Solange die Nachfrage in Nordamerika, Europa und Asien immer weiter ansteigt, ist der „War on drugs“ nicht zu gewinnen.

 

Zitat:

- Drogen zu verbieten, was zunächst vernünftig erscheint, hat die Exklusivrechte einer Multimilliarden-Dollar-Industrie den rücksichtslosesten Verbrechernetzwerken der Welt übertragen. -

 

Auch die Verknappung des Rohstoffs stellt keine vernünftige Alternative dar, wie der Autor anhand verschiedener Modelle aufzeigt. Geht etwas schief (Missernte, Vernichtung des Anbaus durch die Regierung etc.) geht dies voll zu Lasten der armen Bauern und nicht der reichen Kartelle. Die straffe Organisation, die verbesserte Produktion der cocineros (der Kokainköche) und das immer ausgeklügeltere Verteilernetz tun dabei ihr Übriges. Der Polizeiapparat wird von den Kartellmitgliedern ausgehebelt oder gegeneinander aufgehetzt, die jeweilige Bezirks- oder Landesregierung komplett unterwandert, Schutzgelder werden erpresst und wer nicht hören will, wird erschossen, verbrannt, zerstückelt oder fällt einem sonstigen Attentat zum Opfer. Es gibt Markt- und Preisabsprachen. Vertragliche Angelegenheiten müssen mit Gewalt durchgesetzt werden. Die Strukturen innerhalb der Banden oder Kartelle gleicht jedoch in vielerlei Hinsicht denen von Aufsichtsräten moderner Wirtschaftsunternehmen. Aber auch die diametral konträren Handlungsweisen, aufgrund der unterschiedlichen Geschäftsmodelle wird in Augenschein genommen. Wainwright macht vernünftig klingende Vorschläge zur Eindämmung der vorherrschenden Gewalt, der Korruption, der Umstrukturierung des Polizeiapparates, dem Umgang mit der Droge an sich und letztendlich auch dem Umgang mit und der Aufklärung der Endverbraucher.

 

Zitat:

- Es sind jedoch gerade die Bemühungen der Behörden und Gesetzeshüter, die bewirken, dass ein simples landwirtschaftliches Produkt, das in seinem Herkunftsland nicht mehr kostete als Kaffee, bei seinem Eintreffen in Europa oder den Vereinigten Staaten mehr Wert ist als sein eigenes Gewicht in Gold. -

 

Die Drogenkartelle diktieren ihre Preise, wie die übrigen Monopolisten in der freien Marktwirtschaft auch. Die Zeitschrift Forbes führte beispielsweise den Boss des Sinaloa Kartells Joaquin "El Chapo" Guzmán auf Platz 60 der einflussreichsten Männer der Welt. Auf dieser Liste war noch nicht einmal der damalige mexikanische Präsident Calderón vertreten. Guzmán ist Multimilliardär (!!!), sitzt allerdings seit Januar 2016 wieder in Haft und wurde genau ein Jahr nach seiner Verhaftung, nämlich am 19. Januar 2017 an die Amerikaner ausgeliefert.

 

Wainwright spricht unterdessen mit Drogenbossen, bolivianischen Bauern, trifft sich mit Drogenbeauftragten der Vereinten Nationen in Bolivien, dem damaligen mexikanischen Präsidenten Caldéron, dem Bürgermeister von Juaréz Héctor Murguia, des Weiteren mit Carlos Mojica Lechuga, dem Anführer der Barrio 18 (dem Gegenpart der bekannteren Bande Mara Salvatrucha (MS13)), in einem Gefängnis in Cojutepeque/El Salvador, mit Soldaten der Antidrogeneinheit der Dominikanischen Republik und dem honduranischen Minister für Innere Sicherheit Pompeyo Bonilla Reyes. Er spricht mit einer Haushaltshilfe, die ein Mordkomplott inkl. Auftragsmord gegen zwei Unterdrücker plant und mit einem sogenannten Killerkid, das mit acht Jahren seinen ersten Mord beging.

 

Der Autor spricht aber auch über Umschlagplätze, sowie Verkehrswege und führt immer wieder interessante Fakten, Beispiele und Anekdoten ins Feld. Er analysiert und differenziert aus Gesichtspunkten betriebswirtschaftlicher Natur und zieht interessante Studien und Vergleiche heran. Häufig bekräftigt er seine Thesen auch mit Quellenangaben. Die Unternehmensführung, die Lieferketten, die Personalführung, das Verteilernetz, die Konkurrenz, die Umgehung staatlicher Auflagen, die Ertragssteigerung und letztendlich die Befriedigung der (Sehn-)Süchte des Endkonsumenten...all das läuft auf den Vergleich mit dem Geschäftsgebaren einer großen Firma oder Handelskette hinaus. Wainwright vollzieht das Geschäft mit dem Drogenhandel anhand ökonomischer Tatsachen nach. Er vergleicht etablierte Firmenstrategien mit den Strategien der Kartelle und erhält überall direkte Parallelen zu den legalen Geschäftsfeldern von Walmart, McDonalds und Co. Der Autor zeigt anhand von Franchiseunternehmensvergaben Aktionsradien der Kartelle und Banden auf, die sich auch gegen sich selbst, beziehungsweise ihre eigene Führungsriege richten können. Der Internethandel floriert auf der einen Seite, wie auf der anderen Seite. Mit legalen, wie illegalen Waren. Ihre Tentakel reichen (beider Maßen) in die letzten Winkel von Politik, Wirtschaft und Privatleben. Von den Zetas, einer kriminellen Vereinigung aus Mexiko, die indes in weiten Teilen Mittel- und Südamerikas Fuß gefasst hat, gibt es ganze Markenproduktreihen, wie Rucksäcke, Bekleidung, Basecaps, Whiskey oder DVD Raubkopien, die mit den Zeta-Logos versehen sind, aber eben auch aufs brutalste zerstückelte Leichen.

 

Zitat:

- Lange vor dem Offshoring-Zeitalter war der Drogenhandel ein Vorreiter der Globalisierung. Franchise wie bei McDonald's klappt auch bei Kartellen und kriminellen Banden, wie bei den, in gesamten Südamerika verbreiteten Zetas. -

 

Es geht auch um den Umgang mit den Inhaftierten, der zum Teil einem positiven Wandel unterzogen ist. Zumindest da, wo man gewillt ist für Rehabilitation, Integration und Bildung setzt, zeigen sich die ersten Erfolge. Brutal und schonungslos geht der Autor aber auch auf den Journalismus vor Ort und seine Gefahren ein. Er beschreibt neben seinem Besuch einer Kokaplantage in den bolivianischen Anden auch die Droge Kokain an sich, wie sie gewonnen wird und vor allem wo. Tom Wainwright geht auch auf die Verlagerung des Marktes in Richtung Legal Highs ein und die ständigen Verbote, die immer bizarrere und gefährlichere Substanzen in den Drogenküchen entstehen lassen. Ebenfalls betrachtet er die Auswirkungen der Freigabe des Marihuana in Teilen Amerikas auf den legalen, wie auch den illegalen Markt. Er geht spricht auch die Marihuanalebensmittel, wie Cannabisdrinks, Cannabisschokolade, Space Cakes, Tautropfen (eine hochkonzentrierte THC Flüssigform, die unter der Zunge aufgenommen wird), Lutscher, etc. an und zeigt die Überlegenheit des legalen gegenüber dem illegalen Cannabismarkt auf. Wainwright durchforstet das Darknet (hier als Deep Web bezeichnet), wo es Marketplaces für Drogen, Waffen, Auftragsmorde etc., in ähnlichem Aufbau wie e-bay oder Amazon gibt. Letztlich geht er auch auf die Wachstumsbestrebungen und die weiteren Betätigungsfelder, wie beispielsweise Menschenschmuggel oder Verlagerung auf andere Märkte ein, weg vom Kokain und Marihuana hin zum Chrystal Meth und erneut zum Heroin als reine zweckmäßige Diversifikation des Geschäfts. Wainwright zeigt auch die Fehler auf, die die Regierungen bei ihrem War On Drugs machen und bietet Lösungsvorschläge oder zumindest Ansatzpunkte für Verbesserungen der Lage. Es sind auch oft verschreibungspflichtige Medikamente, die Menschen in die Abhängigkeit und in die Drogensucht führen.

 

Zitat:

- Von verständnisvollen Ärzten verschrieben und versehen mit dem beruhigenden Markenzeichen eines bekannten Pharma-Unternehmens, bekommen harte Drogen ein achtbares Gesicht...Landesweit haben zwei Drittel aller Heroinsüchtigen in den USA mit dem Missbrauch verschreibungspflichtiger Schmerzmittel angefangen.-

 

Es geht dem Autor natürlich nicht darum irgendetwas bezüglich des Drogengeschäfts zu beschönigen oder gar zu verherrlichen, sondern lediglich die Gemeinsamkeiten und Parallelen innerhalb der Strukturen von Wirtschaftsunternehmen und Drogenkartellen zu verdeutlichen. Dies tut Wainwright ziemlich neutral und nüchtern. Die Gliederung ist gut und der Schreibstil flüssig. Der Autor verliert sich allerdings irgendwann ziemlich zum Schluss in Studien und Vergleichen, die etwas langatmig geraten sind. Er bezieht selten Stellung, außer für den Standpunkt, dass sich die bisherigen Maßnahmen als untauglich, teilweise gar kontraproduktiv ausnehmen, womit er sicherlich auch nicht ganz unrecht hat.

 

Meine Wertung: 83/100

 

Zur Autorenseite des Verlags: https://www.randomhouse.de/Autor/Tom-Wainwright/p573260.rhd



 

 

- Wir bitten von der Übersendung nicht angeforderter Rezensionsexemplare in physischer Form abzusehen, da Wir diese in der Regel nicht bearbeiten Können -