STEINAR BRAGI - Hochland

(DVA)

 

Dass sich der isländische Autor Steinar Bragi mit seinem eher unkonventionellen Plot nicht nur Freunde, sondern auch Feinde innerhalb der Lesergemeinde machen würde, war von vornherein abzusehen. Sein neuestes Werk „Hochland“ ist schwer einzukategorisieren, denn es ist nicht leicht zu greifen und irgendwie weder Fisch noch Fleisch. Ist es nun subtiler Horror, ein Psycho Thriller, ein surreales Psychogramm oder etwas aus der Reihe Phantastik? Die Richtung, des 302 Seiten starken Romans ist nicht eindeutig definiert und irgendwie ist er alles und gleichzeitig nichts davon. Die Sprache ist zu Beginn etwas holprig, was durchaus an der Übersetzung liegen mag, der Spannungsbogen ist langatmig gestaltet, es wird wenig Lokalkolorit eingestreut und erst ganz am Schluss nimmt der Plot so richtig Fahrt auf. Dann wirft die Geschichte allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet, was auch der Grund für die vielen negativen Meinungen sein dürfte, die ich allerdings nicht ganz teilen mag. Die angedeuteten Geschehnisse sind zum Teil Metaphern auf die wirklichen Hintergründe und den verrückt gewordenen Geist, der dieser Geschichte innewohnt.

 

Am Anfang macht sich ein typischer Horror Thriller Plot nach amerikanischem Vorbild breit, taucht im Laufe der Erzählung aber in eine eigentümliche, fremdartige Symbiose aus den vorgenannten Stilen ab. Zwei junge, urlaubsreife Pärchen fahren gemeinsam mit ihrem Hund Tryggur (was so viel wie "treu" bedeutet) durch Islands menschenleeres Hochland, welches zugleich Europas größte Wüste darstellst. Durch Unachtsamkeit kommen die jungen Leute bei Nacht und Nebel von der Straße ab. Verzweifelt versuchen Hrafn, Vigdís, Anna und Egill die Straße wiederzufinden und verfahren sich immer weiter in den windgepeitschten Sandflächen. Als sie den Wagen schlussendlich gegen eine Hauswand lenken, findet ihre Fahrt ein jähes Ende. Zum Glück nur leicht verletzt, finden Sie Unterschlupf bei den alten, verschrobenen Bewohner des Hauses, welche selbiges nach außen hin wie eine Festung verbarrikadieren, denn merkwürdige Dinge geschehen dort draußen. Was sich zu einem tödlichen Trip durch die Sand- und Felswüste Islands auswächst, ist eine surreale Exkursion in menschliche Abgründe, der ein klein wenig mehr Seele sicherlich gut getan hätte. Man meint recht früh zu ahnen, in welche Richtung der Plot marschiert, aber es bleibt vieles offen und der Fantasie des Leser überlassen, was im Prinzip gar nicht so verkehrt ist, denn ein Buch, auch wenn es wie in diesem Fall nicht das tiefgründigste ist, soll doch in erster Linie unterhalten und in zweiter Linie zum Nachdenken anregen und das tut es ganz offensichtlich. Die Gruppe wird zum Teil richtig philosophisch, agiert aber das ein oder andere Mal etwas „strange“. Die jungen Leute scheinen des Weiteren ein arges Alkoholproblem zu haben. Leider schleichen sich auch immer mal wieder ein paar plumpe Bemerkungen zu den Vorkommnissen ein, die das Lesevergnügen ein wenig schmälern. Zwischendurch wird immer mal wieder die Vergangenheit der vier Protagonisten beleuchtet, welche alles andere als sympathisch gezeichnet sind, was ein gewisses Empathieempfinden des Lesers, mit der misslichen Lage in der sich die jungen Isländer befinden, erschwert. Ihnen allen lastet eine angeschlagene Psyche an und sie fechten permanent Kämpfe mit ihren inneren Dämonen aus. Merkwürdige Geschehnisse, sonderbare Verhaltensweisen, kleine Nicklichkeiten untereinander. Sie sind sich untereinander auch nicht grün und nutzen nahezu jede Gelegenheit die sich bietet, das jeweilige Gegenüber zu denunzieren. Das Hochland scheint Spannungen hervorrufen und die Verhaltensweisen der jungen Leute nachhaltig zu beeinträchtigen. Sie werden im Laufe der Geschichte immer schizophrener und fangen allmählich an durchzudrehen. Nichts ist wirklich, nichts ist fassbar, nichts ist evident.

© Salomonsson Agency
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Bragi baut eine immer subtilere Spannung auf. Es dauert allerdings eine halbe Ewigkeit, bis etwas nennenswertes passiert. Man hätte das Ganze in seiner surrealistischen Dramaturgie gerne mehr in die Breite ziehen dürfen, den Plot tiefgründiger gestalten, dem Kausalismus ein weitergehendes Augenmerk schenken und der morbiden Diversität einen größeren Handlungsspielraum einräumen sollen. „Hochland“ ist ein surrealer, atypischer Horror Roman geworden, der mich von seiner Grundstimmung her ein wenig an den Film „Lost Highway“ von David Lynch erinnerte.

 

Meine Wertung: 79/100

 

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