German version (for the English version scroll down further):
Irgendwann in der Gegenwart, in einer nicht näher bezeichneten Ortschaft in den USA. Die professionellen Kleinkriminellen Rick und Frank sind ein eingespieltes Team. Unscheinbar, unauffällig, unsichtbar. Sie haben sich auf Auftragsjobs spezialisiert und stehlen alles, was ihre Klienten haben wollen. Doch an diesem Tag hat Froehmer, ihr üblicher Auftraggeber, einen ganz speziellen Job für die beiden ehemaligen Drogenabhängigen. Sie sollen einen Gegenstand stehlen, der nicht viel Wert zu sein scheint, aber offensichtlich jede Menge Ärger nach sich zieht. In direktem Anschluss an den Raub wird das Einbrecher-Duo in einen Unfall verwickelt, der eine Welle ungeahnten Ausmaßes lostritt. Wenig später verschwindet Frank von der Bildfläche. Mit ihm all seine Habseligkeiten, inklusive des Gegenstandes, der eigentlich für Froehmer bestimmt war.
Die kopflastige Story "Die Verpflichtung", die der US-amerikanische Schriftsteller Gregory Galloway im Jahre 2021 unter dem Originaltitel "Just Thieves" zu Papier brachte, ist eine introspektive Fallstudie zweier Gauner auf ihrem Weg in den Abgrund. Der gemächliche Aufbau lässt der Spannung anfangs noch wenig Raum zur Entfaltung, sprießt nach hinten raus aber wie ein Pflänzchen nach einem ergiebigen Sommerregen. Der Ich-Erzähler Rick sinniert indes ausufernd über die allgemeinen Begebenheiten, die Ausarbeitung des Plans, die Observationen, sowie das auffallend pedantische Verhalten seines Gauner-Kollegen und Mitbewohners Frank. Obschon es nicht explizit erwähnt wird, wird sich der Leser über die enge Bindung und die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Einbrecher nur allzu gewahr. Man kommt dabei kaum umhin, Gregory Galloway zuzugestehen, dass er ein erzählerischer Virtuose ist, dessen scheinbare Belanglosigkeiten runtergehen wie Öl. Das muss kein Widerspruch sein, denn der 1962 in Keokuk, Iowa geborene Autor streut immer wieder interessante Anekdoten in seine Sätze ein, die er mit empathischem, wie auch psychologischem Geschick seziert. Galloway entwickelt innerhalb der 288 Seiten, welche "Die Verpflichtung" für seine potenzielle Leserschaft bereithält, ein anspruchsvolles Psychogramm zweier Profi-Einbrecher, welches im weiteren Verlauf einen mitreißenden Sog entwickelt. Authentische Charaktere treffen auf Vergangenheitsbewältigung, Lügen, Verrat, Gewalt, Tod und so manches Abhängigkeitsverhältnis.
Als sich Rick allmählich damit abfindet, dass sein Partner nicht mehr auftauchen und er vor Froehmer in Erklärungsnot geraten wird, weiß er sich nicht mehr zu helfen. Zunächst fällt der Auftragsdieb in eine katatonische Starre, um anschließend regelrecht manisch zu agieren. Neben Verzweiflung, Sprachlosigkeit, Wut, Zorn und Misstrauen, breiten sich Perspektiv- und Ratlosigkeit in ihm aus. Eine Vielzahl aus Neurosen, welche die ehemalige Alkohol- und Drogensucht in den Gehirnwindungen des Hauptprotagonisten hinterlassen hat, lassen Rick zusehends in einen Wahn verfallen. Die Geschehnisse bringen den Vater einer Tochter schon bald an seine ganz persönlichen Grenzen, wobei er allmählich in seiner eigenen Gedankenwelt zu ertrinken droht. Einzig und allein Franks Schwester Casey, die Rick nach Franks Verschwinden kennenlernt und die ihn stetig mit der früheren Vergangenheit, sowie neueren Fakten bezüglich ihres Bruders konfrontiert, scheint den Berichterstatter aus seiner Katatonie und seiner Depression herauslocken zu können. Trotz investigativer Nachforschungen zu den Vorkommnissen rund um Frank, frisst die Tristesse seines Alltags allmählich Ricks Seele auf und er lässt sich immer tiefer in einen brandgefährlichen, undurchsichtigen Moloch aus mafiösen Strukturen, Missgunst, Täuschung, Trug und Heuchelei hineinziehen. Als Rick jegliche seiner Skrupel ablegt, besiegelt er nicht nur sein eigenes Schicksal.
Durch die Erzählperspektive, die der heute mit seiner Frau in Hoboken, New Jersey lebende Gregory Galloway wählte, kann man sich recht gut in den Hauptakteur hineinversetzen. Vielleicht nicht unbedingt in seine Taten, aber doch in sein angespanntes Nervenkostüm. Der Bücher-Konsument fragt sich unweigerlich, was hier eigentlich läuft und wer hier wen übers Ohr zu hauen versucht. Die Frage nach dem "Warum" kommt auf, die Gregory Galloway bis zur endgültigen Aufklärung meisterlich umschifft. "Die Verpflichtung" ist ein irrwitziges, unkonventionelles und vertracktes Gedankenkonstrukt, in dem jeder mehr zu wissen scheint, als die Hauptfigur selbst. Häufig ist es das Unausgesprochene, das in diesem Noir zur Wahrheit führt. Dabei kann die geistreich und komplex herausgearbeitete Tiefe, in die Galloway seine Leser hineinmanövriert, niemals ein gutes Ende nehmen. Wie in einer Drogensucht gerät Rick in eine Spirale der Abhängigkeit, der er sich kaum zu entziehen vermag. Denn auch wenn der ehemalige Alkoholiker und Ex-Junkie der Meinung ist, seine Abhängigkeiten überwunden zu haben, so ist er in vielerlei Hinsicht von einer sprichwörtlichen Unabhängigkeit doch meilenweit entfernt. Wer hier enorm viel Spannung und Action erwartet, dem sei mit auf den Weg gegeben, dass "Die Verpflichtung" anderen Gewichtungen Vorrang gewährt, als herkömmliche 08/15-Thriller. Hier ist definitiv der Weg das Ziel!
(Janko)
https://www.facebook.com/gregorykgalloway
Brutalität/Gewalt: 44/100
Spannung: 74/100
Action: 44/100
Unterhaltung: 87/100
Anspruch: 86/100
Atmosphäre: 73/100
Emotion: 78/100
Humor: 15/100
Sex/Obszönität: 02/100
LACK OF LIES - Wertung: 85/100
LACK OF LIES - Altersempfehlung: ab 16 Jahren (aufgrund des anspruchsvollen Kontexts)
Gregory Galloway - Die Verpflichtung
Polar Verlag
Kriminalroman/Thriller/Noir
ISBN: 978-3-910918-24-5
288 Seiten
Klappenbroschur
Originaltitel: Just Thieves (2021)
Aus dem Amerikanischen von Karen Witthuhn
Erscheinungstermin: 06.06.2025
EUR 17,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Die Verpflichtung" beim Polar Verlag: https://polar-verlag.de/produkt/gregory-galloway-die-verpflichtung/
English version:
- introspective case study of two crooks on their way to the abyss -
Sometime in the present day, in an unspecified town in the USA. Professional petty criminals Rick and Frank are a well-rehearsed team. Unassuming, inconspicuous, invisible. They specialize in contract work and steal anything their clients want. But on this particular day, Froehmer, their usual client, has a very special job for the two former drug addicts. They are to steal an object that doesn't seem to be worth much, but will obviously cause a lot of trouble. Immediately after the robbery, the burglar duo is involved in an accident that sets off a wave of unimaginable proportions. A short time later, Frank disappears from the scene. Along with all his belongings, including the object that was actually intended for Froehmer.
The cerebral story "Die Verpflichtung", which US author Gregory Galloway wrote in 2021 under the original title "Just Thieves," is an introspective case study of two crooks on their way to the abyss. The leisurely buildup initially leaves little room for tension to develop, but eventually sprouts like a plantlet after a heavy summer rain. Meanwhile, the first-person narrator, Rick, muses at length about the general events, the development of the plan, the observations, and the strikingly pedantic behavior of his fellow crook and roommate, Frank. Although it isn't explicitly stated, the reader becomes all too aware of the close bond and mutual dependence between the two burglars. It's hard not to acknowledge that Gregory Galloway is a narrative virtuoso whose seemingly trivial details go down like a treat. This needn't be a contradiction, as the author, born in Keokuk, Iowa, in 1962, repeatedly intersperses his sentences with interesting anecdotes, which he dissects with empathetic as well as psychological skill. Within the 288 pages that "Die Verpflichtung" offers its potential reader, Galloway develops a sophisticated psychological profile of two professional burglars, which develops a gripping pull as it progresses. Authentic characters encounter coming to terms with the past, lies, betrayal, violence, death and many a relationship of dependency.
As Rick gradually comes to terms with the fact that his partner will no longer appear and that he will be faced with a difficult explanation in front of Froehmer, he no longer knows what to do. At first, the contract thief falls into a catatonic state, before subsequently acting outright manic. Alongside despair, speechlessness, anger, rage, and mistrust, a lack of perspective and helplessness spreads within him. A multitude of neuroses, left in the convolutions of the main protagonist's brain by his former alcohol and drug addiction, increasingly cause Rick to descend into madness. The events soon push the father of a daughter to his very personal limits and he gradually threatens to drown in his own world of thoughts. Only Frank's sister Casey, whom Rick meets after Frank's disappearance and who constantly confronts him with his past and more recent facts about her brother, seems able to lure the reporter out of his catatonia and depression. Despite his investigative research into the events surrounding Frank, the dreariness of his everyday life gradually consumes Rick's soul and he allows himself to be drawn ever deeper into a highly dangerous, opaque juggernaut of mafia-like structures, resentment, deception, deceit and hypocrisy. When Rick abandons all his scruples, he not only seals his own fate.
The narrative perspective chosen by Gregory Galloway, who now lives with his wife in Hoboken, New Jersey, allows one to empathize quite well with the main character. Perhaps not necessarily with his actions, but certainly with his tense nerves. The reader inevitably wonders what is actually going on here and who is trying to rip whom off. The question of "why" arises, which Gregory Galloway masterfully avoids until the final clarification. "Die Verpflichtung" is a crazy, unconventional and convoluted thought construct in which everyone seems to know more than the main character himself. Often, it is the unspoken that leads to the truth in this Noir. Yet the ingenious and complexly developed depths into which Galloway maneuvers his readers can never have a happy ending. Like a drug addict, Rick falls into a spiral of addiction from which he can hardly escape. Even though the former alcoholic and ex-junkie believes he's overcome his addictions, he's still miles away from proverbial independence in many ways. Anyone expecting a ton of suspense and action should be aware that "The Commitment" prioritizes a different approach than your average run-of-the-mill thriller. Here, the journey is definitely the destination!
(Janko)